JETZT aktiv gestalten! Ein Blick auf die Phasen der Veränderung, Werteverschiebungen und Musterdurchbrechungen.

Wie erlebe ich als Simone Thomßen und in meiner Rolle als selbstständiger Coach die Corona-Krise?

Ich muss zugeben, bis Mitte Februar war das Virus für mich noch weit weg. Als dann aber die ersten Fälle in Deutschland bekannt wurden, kam es schon näher und ich kann mich sehr gut erinnern, dass ich Anfang März angefangen habe, auf das Händeschütteln zu verzichten. Emotional war ich aber noch nicht so betroffen, es hat sich bei mir noch auf rationaler Ebene abgespielt. Nur einige Tage später änderte es sich allerdings schlagartig, nämlich als vermehrt Bilder aus Italien gezeigt wurden, von überfüllten Krankenhäusern und Menschen unter der Beatmungsmaske. Plötzlich war das Virus für mich präsent, nah, denn es kamen innere Bilder hoch, da ich zwei liebe Menschen unter einer Beatmungsmaske verloren habe. Das hat bei mir Panik, ja vielleicht sogar schon Hysterie ausgelöst.

 

Und wie lange hielt das an und wie bin ich damit umgegangen?

Zu diesem Zeitpunkt war ich noch täglich unter Menschen; habe Workshops gegeben, Coachings und Beratungen durchgeführt. Ich war abgelenkt. Die negativen Emotionen hatte ich tagsüber nicht, auch wenn ich damals schon bewusst Abstand gehalten habe. Abends, wenn ich wieder die aktuellen Meldungen gelesen oder in den Nachrichten gesehen habe, kam alles mit voller Wucht zurück. Ich war nicht mehr panisch, aber sehr verunsichert, ängstlich und auch traurig. Und mir wurde bewusst, wie wichtig für mich der Wert „Gesundheit“ ist. Dieser Wert gehörte immer schon zu meinen wichtigsten Werten, aber er bekam durch das Virus nochmal eine ganz andere Bedeutung und Gewichtung.

 

Wurden noch andere Werte von mir berührt?

Ja, auf jeden Fall. Denn wieder nur einige Tage später wurden dann alle Präsenzveranstaltungen wie Workshops, Coachings und Besprechungen seitens der Kunden und Unternehmen abgesagt. Das hat mich wieder emotional belastet. Zum einen aus wirtschaftlicher Sicht, zum anderen, weil ich das, was ich so liebe, schlagartig nicht mehr machen konnte. Die Werte „Wirksamkeit“ und „Soziale Kontakte“ konnte ich nicht mehr leben. Das tat weh.

 

Aber es gibt doch die virtuellen Möglichkeiten. Ich hätte doch weiter mit den Menschen in Kontakt bleiben können und auch weiter wirksam sein können.

Das stimmt. Heute sehe ich das auch so. Das hat bei mir aber ein bisschen gedauert. Ich habe quasi die ersten Phasen der Veränderungskurve (nach Kübler-Ross) live erlebt. Zuerst Schock, Verneinung, dann rationale Akzeptanz und Tal der Tränen. Durch engen Kontakt mit meinem Netzwerk, mit Freunden und anderen Coaches, Beratern, habe ich dann relativ schnell diese ersten Phasen durchlaufen und fühle jetzt Aufbruchstimmung. Und dieser Kontakt hat ja virtuell stattgefunden. Ich muss zugeben, dass die virtuellen Tools nie so meins waren, außer, mal privat zu skypen. Aber beruflich habe ich das immer von mir weggeschoben, hatte so meine Glaubenssätze „Ich brauche das nicht“, „Meine Kunden bevorzugen auch eher den persönlichen Kontakt“. Dieses Muster habe ich aber nun durchbrochen und es wurde ebenfalls durchbrochen durch mein Umfeld. Denn plötzlich waren ja alle virtuell unterwegs, haben unterschiedliche virtuelle Tools ausprobiert, sowohl meine Netzwerkkollegen, als auch meine Kunden. Und ich habe entdeckt, dass ich ganz kreativ sein kann und Spaß daran habe. Den Wert „Kreativität“ habe ich vorher gar nicht so stark an mir wahrgenommen.

 

„Muster durchbrechen“. Was genau heißt das?

Ich erlebe das, wohin ich auch schaue. In Unternehmen ist plötzlich Homeoffice möglich, was bei einigen vorher undenkbar war. Auch werden Meetings virtuell abgehalten und zum größten Teil für gut befunden. Beim Einkaufen bringen die Menschen nun mehr Zeit mit, denn sie müssen anstehen. Ich erlebe, dass man heute ins Gespräch kommt, sich anlächelt, nicht mehr durch den Laden hetzt, ohne den Anderen wahrzunehmen. Nicht alle Musterdurchbrechungen fallen leicht, wie zum Beispiel das Tragen von Masken.
Auch mein Muster, beruflich strukturiert und voll terminiert durch den Tag, durch die Wochen zu gehen, wurde durchbrochen. Ich habe immer gesagt „Wenn ich mal Zeit habe, dann…“. Dann lerne ich Italienisch, mache mehr Sport, durchdenke mal in Ruhe meine Workshopskonzepte etc. Und das tue ich jetzt. Und mir geht`s richtig gut damit. Also, Muster durchbrechen bedeutet, zwangsläufig oder ganz bewusst, etwas anders zu machen, als man es bisher gewohnt war; einhergehend mit positiven, aber vielleicht auch nicht so positiven Gedanken und Gefühlen.

 

Werde ich das, was ich gerade positiv erlebe, auch nach Corona beibehalten können?

Genau das ist der springende Punkt. Meiner Meinung nach gibt es kein „vor und nach Corona“. Denn wir alle werden nicht dort weitermachen, wo wir Anfang des Jahres aufgehört haben. Nicht so weitermachen können oder vielleicht auch nicht wollen. Das gilt auch für mich und meinen Beruf. Ich denke ganz intensiv darüber nach und merke, dass es gerade jetzt gut ist, genau das zu tun. Nämlich innezuhalten und zu reflektieren: Was mache ich gerade anders als vorher? Was habe ich neu hinzugelernt? Was hat mir dabei geholfen? Was davon will ich beibehalten, weil es sich gut anfühlt und auch möglich ist? Wovon muss oder sollte ich mich aber auch wieder verabschieden, weil es nur in dieser Phase Sinn macht oder mir doch nicht so gut gefällt? Was muss ich noch ganz neu überlegen, da meine Umwelt dies evtl. auch fordern oder erwarten wird? Wie wird die Zukunft überhaupt aussehen und worauf sollte ich mich schon vorbereiten? Die letzte Frage stellt sich als die schwerste heraus, denn die Coronakrise berührt alle Menschen, alle Branchen, alle Unternehmen auf der ganzen Welt und niemand kann sie heute schon beantworten. Wir können uns aber über mögliche Szenarien Gedanken machen.

 

Wie kann ich Menschen bei diesen Fragen begleiten?

Meiner Meinung nach gibt es verschiedene Ansätze. Es wird Menschen geben, die aus verschiedensten Gründen noch in den ersten Phasen der Veränderungskurve stecken, wie ich sie auch selbst erlebt und oben beschrieben habe. Menschen, die vielleicht Ängste und Sorgen haben, denen es wirtschaftlich schlecht geht, die vielleicht jemanden durch das Corona-Virus verloren haben oder ein Auf und Ab der Gefühle erleben. Andere verleugnen eventuell die Krise und wieder andere suchen Schuldige dafür. Allen hat gemein, dass sie noch nicht nach vorne schauen (können), keine Perspektive sehen, noch keinen Sinn finden. Hier könnten Gespräche, ein Coaching helfen.
Andere werden diese ersten Phasen schon durchlaufen haben, wollen handeln, wissen aber nicht wie. Sie merken, dass sich ihre Werte verschoben, evtl. eine andere Gewichtung bekommen haben und dass sie alte Muster durchbrechen. Und dass auch andere, sei es Freunde, Kollegen oder auch das Unternehmen, in dem sie arbeiten, andere Werte leben oder anders handeln. Auch hier kann helfen, mit einem Außenstehenden, einem Coach, genau darauf zu schauen, um für sich Klarheit zu erlangen. Vielleicht die Fragen zu beantworten „Was bedeutet das Erlebte für mich und meine berufliche Rolle?“ oder „Wie möchte ich heute und zukünftig meine Work-Life-Balance gestalten?“

 

Und was könnten Führungskräfte und ihre Teams tun?

Teams erleben gerade ein ganz anderes Zusammenarbeiten. Haben sich früher die Teammitglieder täglich oder häufig vor Ort gesehen, findet das Teamleben zurzeit virtuell statt. Das ist für die meisten neu. Einige erleben es positiv und wollen es auch zukünftig beibehalten. Sei es, weil sie gemeinsam etwas Neues ausprobieren und kreativ werden. Sei es, weil es viel bequemer und auch kostengünstiger ist, als von A nach B zu fahren. Andere tun sich damit aus unterschiedlichen Gründen schwer und freuen sich darauf, dass es irgendwann wieder anders wird.
Frage ich Führungskräfte, höre ich häufig, dass zur Zeit alles gut laufe, keine Konflikte bestehen, alle ihre Arbeiten erledigen und sich alles eingespielt habe. Ich bin da etwas kritisch, wenn ich das höre. Denn hat sich evtl. nur das Level verschoben, was „Gut laufen“ bedeutet? Sind die Führungskräfte evtl. zurzeit mit weniger zufrieden? Wird Corona vielleicht als Entschuldigung genutzt für das, was gerade nicht passiert? Was ist, wenn alle wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren? Wenn die Unternehmens- und Teamziele wieder mehr in den Fokus rücken? Muss das Team erst wieder zueinander finden und neue Regeln vereinbaren? Was wird dann von der Führungskraft erwartet? Meiner Meinung nach ist es wichtig, auf all das zu schauen und als Team ein gemeinsames Verständnis dafür zu entwickeln, was gerade gut läuft und was nicht, was beibehalten werden und wovon man sich verabschieden sollte, was vielleicht aus den Augen verloren wurde und wieder in den Fokus rücken sollte, etc. Durch kurze, virtuelle Teamworkshops ist das aus meiner Sicht schon heute möglich und sinnvoll. Das erlebe ich gerade selbst, da ich mit meinen Netzwerkpartnern auch in einem Team arbeite. Diese Teamworkshops sollten in regelmäßigen Abständen fortgesetzt werden; denn noch ist alles unbeständig, unsicher, komplex und mehrdeutig. Ein agiler Ansatz ist jetzt aus meiner Sicht das Richtige.

 

Und das gleiche rate ich auch Geschäftsführern und Vorständen, die sowohl Teams, als auch ein Unternehmen führen.